“Marketing heißt, die Welt aus der Sicht der Kunden zu sehen.” Dieses Zitat stammt von dem US-amerikanischen Ökonom Peter Drucker und gilt praktisch als Basisleitsatz für alle, die in der Marketingbranche arbeiten. Es werden Personas kreiert, welche die Charaktereigenschaften, Wünsche und Sorgen der Zielgruppe detailliert repräsentieren sollen. Danach werden Werbekonzepte und Internetauftritte konzipiert, die auf Basis der Personas Kundengruppen möglichst personalisiert versuchen anzusprechen und zu überzeugen. Ein Aspekt wird jedoch bei der Zielgruppenforschung meist außer Acht gelassen: Der Zusammenhang zwischen der Intelligenz der Kunden und der Wirksamkeit von Werbemaßnahmen.
Ist das ok - über die Intelligenz der Kunden nachdenken?
Über diese Möglichkeit nachzudenken fühlt sich zunächst unangenehm an, da das Urteil über die Intelligenz von Menschen mit einer starken emotionalen Reaktion verknüpft ist. Als “Genie” bezeichnet zu werden ist ein beinahe unübertreffbares Kompliment, wohingegen “Dummkopf” eine schwere Beleidigung darstellt. Es ist daher nachvollziehbar, dass die Frage nach der Intelligenz von Nutzern aufgrund des möglichen Konfliktpotentials besser unerforscht bleiben möchte.
In diesem Artikel soll dennoch erläutert werden, warum es sich trotz moralischer Bedenken lohnen könnte, diesen möglichen Zusammenhang in Betracht zu ziehen.
Was ist Intelligenz & wie wird sie erfasst?
Bevor man sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Intelligenz und Wirkung von Werbung stellt, muss erst einmal erläutert werden, was Intelligenz überhaupt ist. Da viele Faktoren eine Rolle spielen, lässt sich Intelligenz nicht eindeutig definieren. Es handelt sich dabei vielmehr um einen Sammelbegriff für die kognitive beziehungsweise geistige Leistungsfähigkeit von Menschen. Vereinfacht gesagt, ist Intelligenz ein Messwert dafür, wie schnell Menschen komplexe Sachverhalte kognitiv erfassen und reflektieren können.
Um dieses Attribut zu quantifizieren, wurden zahlreiche Tests entwickelt. Diese legen gemäß der uneindeutigen Definition von Intelligenz den Fokus jeweils auf verschiedene kognitive Bereiche, wie beispielsweise mathematische Fähigkeiten, das Zahlengedächtnis oder das Sprachverständnis. Einer dieser Tests – auch bekannt als der kürzeste Intelligenztest der Welt – ist der kognitive Reflexionstest des US-amerikanischen Psychologen Shane Frederick. Mit den folgenden drei Fragen soll dabei die kognitive Leistungsfähigkeit von Menschen beurteilt werden werden:
1. Schläger und Ball kosten zusammen EUR 1,10. Der Schläger kostet EUR 1 mehr, als der Ball. Wie teuer ist der Ball?
2. Es dauert 5 Minuten für 5 Maschinen, 5 Gegenstände zu erstellen. Wie viele Minuten dauert es dann für 100 Maschinen, 100 Gegenstände zu erstellen?
3. In einem See liegt ein Rosenblatt. Jeden Tag verdoppelt es seine Größe. Es dauert 48 Tage, bis das Blatt den gesamten See bedeckt. Wie lange dauert es, bis es über die Hälfte des Sees reicht?
Alle drei Fragen lassen zunächst eine offensichtliche, intuitive Antwort vermuten. Beispielsweise ist bei oberflächlicher Betrachtung die Antwort auf die erste Frage ‘10 Cent’. Erst bei genauerer Überlegung wird klar, dass ‘5 Cent’ die korrekte Lösung der Frage darstellt. Nach demselben Prinzip sind die beiden anderen Fragen konzipiert. Ziel des Tests ist es herauszufinden, ob eine Person eher intuitive oder eher reflektierte Entscheidungen trifft. Dies stellt einen starken Indikator für die kognitive Leistungsfähigkeit und somit auch für die Intelligenz der Person dar..
Intelligenz & deren Auswirkung auf Marketingmaßnahmen
Spannend wird es, wenn man die möglichen Auswirkungen der Intelligenz von Kunden auf den Effekt von konkreten Marketingmaßnahmen betrachtet. Beispielsweise werden eine besonders kurze Lieferzeit oder ein möglichst langes Zahlungsziel häufig als starke Verkaufsargumente von Online-Shops dargestellt. Das diese Maßnahme zu einer Absatzsteigerung führen kann, liegt an einem Effekt namens Hyperbolic Discounting.
Hyperbolic Discounting beschreibt das Phänomen, dass Menschen auf kurze Sicht sehr ungeduldig sind und auf eine sofortige Belohnung nur für eine hohe Prämie verzichten. Auf lange Sicht sind sie hingegen eher geduldig und verlangen weitaus niedrigere Verzichtsprämien.
Vereinfacht gesagt bedeutet das: Kunden gewichten kurzfristige, kleinere Belohnungen häufig stärker als langfristige, größere Belohnungen.
Kognitive Effekte individuell betrachtet
Dass das nicht unbedingt für alle Kunden zutrifft, zeigt eine Untersuchung von Shane Frederick im Zusammenhang mit dem kognitiven Reflexionstests und der Reaktion auf schnelle Belohnungen.
Probanden, die den Test absolvierten, sollten sich zusätzlich zwischen zwei Optionen entscheiden: Sie konnten wählen, ob sie im aktuellen Monat eine Summe von 3400$ erhalten oder sich im nächstfolgenden Monat über die höhere Summe von 3800$ freuen. Bei der Auswertung wurde ein starker Unterschied deutlich. Von den Probanden, die alle Fragen des Tests richtig beantworteten, entschieden sich 60% für die Summe von 3800$. Bei den Probanden, welche die Fragen falsch beantworteten, waren es lediglich 35%.
Daraus lässt sich schließen, dass kognitiv reflektierte Kunden weniger stark auf Marketingmaßnahmen ansprechen, die auf eine schnelle Belohnung abzielen. Es könnte bei diesen Kunden beispielsweise Sinn machen, auf die zusätzlichen Kosten einer Lieferung am nächsten Tag zu verzichten und stattdessen lieber in einen längerfristigen Mehrwert für den Käufer zu investieren. Eine verlängerte Garantie oder – je nach Produkt – ein Jahr Gratis-Support könnten solche langfristigen Anreize darstellen.
Das gleiche gilt natürlich auch umgekehrt. Ist die kognitive Reflektion der Kunden eher gering, reagieren diese stärker auf kurzfristige Belohnungen, wie beispielsweise eine schnelle Lieferung, und weniger auf einen langfristigen Mehrwert.
Ausblick in die Praxis
Bedeutet das jetzt, dass man die Kunden bei Marktforschungsmaßnahmen nicht nur mit Befragungen sondern auch mit Intelligenztests konfrontieren sollte? Nein, natürlich nicht 😉
Damit würde man die meisten Kunden wohl eher vergraulen und damit dem ursprünglichen Ziel der Umsatzsteigerung entgegenwirken. Stattdessen ist es empfehlenswert beim Erstellen von Werbemaßnahmen den “kognitiven Eindruck”, den man von den Kunden gewinnt, im Hinterkopf zu behalten.
Besonders, wenn du beispielsweise durch Verkaufs- oder Beratungsgespräche regelmäßig im persönlichen Kontakt mit deinen Kunden stehst, sollte sich bereits ein Eindruck manifestiert haben. Wirken die Kunden häufig sehr reflektiert und stellen gut durchdachte und clevere Fragen zu deinen Produkten oder Dienstleistungen? Dann ist dies ein Indikator dafür, dass bestimmte Werbemaßnahmen – insbesondere solche, die eine schnelle Belohnung versprechen – eher ungeeignet sind.
Übrigens: Ist kein oder kaum persönlicher Kundenkontakt vorhanden, dienen Anfragen per E-Mail als ähnliche Indikatoren für den kognitiven Eindruck. Die dadurch abgeleiteten Erkenntnisse können eine wichtige Stellschraube an der Marketingmaschine sein, indem sie dabei helfen, ungeeignete Werbemaßnahmen schneller zu identifizieren und durch Effizientere zu ersetzen.
Fazit: Verdecktes Optimierungspotential vorsichtig erschließen
Obwohl man dieses Thema wegen dem anfangs erwähnten Konfliktpotential mit Vorsicht angehen sollte, bleibt abschließend festzuhalten, dass sich hinter dem Zusammenhang von Kundenintelligenz und Wirksamkeit von Werbemaßnahmen ordentliches Optimierungspotential verbergen könnte.
Es ist daher empfehlenswert, diesen Aspekt zumindest versuchsweise in die Werbeplanung miteinzubeziehen. So lassen sich Personas noch ein Stück weit mehr realistischer gestalten und eines ist doch klar: Wäre es nicht spannend zu wissen, wie reflektiert sich Kunden wirklich mit deinen Produkten oder Dienstleistungen auseinandersetzen?
Literatur
- Laibson D(1997) Golden eggs and hyperbolic discounting. The Quaterly Journal of Economics 112(2):443-478
- Frederick S(2005) Cognitive Reflection and Decision Making. Journal of Economic Perspectives Volume 19, Number 4:25-42