Unser Gehirn wird tagtäglich mit Tausenden von Reizen konfrontiert, aus denen es selektieren muss: Was hat nur kurzfristig Relevanz und welche Informationen werden in das Langzeitgedächtnis übernommen? Für ein erfolgreiches Online-Marketing ist es nützlich zu verstehen, wie dargebotene Informationen im Gehirn abgelegt werden. Wie kann der Nutzer angesprochen werden, sodass er die angebotene Website-Informationen längerfristig abrufen und bei zukünftigen (unbewussten) Entscheidungsprozessen berücksichtigen kann? Eine Reise ins Gedächtnis gibt Aufschluss darüber…
Gedächtnis und Lernen - Hand in Hand
Der bekannte Psychiater, Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Eric Kandel beschreibt das Gedächtnis als die Fähigkeit, Informationen zu speichern und wieder abrufen zu können. Laut Kandel ermöglicht uns das Gedächtnis, einen bewussten Zugang zu unserer Vergangenheit zu finden. Diese gespeicherten Informationen können kurzfristig oder längerfristig oder sogar ein ganzes Leben lang in Erinnerung behalten werden.
Das Gedächtnis ist eng mit der Fähigkeit des Lernens verknüpft. Lernen beschreibt das Einprägen von Informationen in das Gedächtnis. Lernen bewirkt eine Veränderung der synaptischen Kontakte im Gehirn, welche das Gedächtnis formen. Je nachdem, wieviel und was gelernt wird, kann ein und derselbe synaptische Kontakt stärker oder schwächer ausgeprägt werden.
Die wiederholte Darbietung und Aufnahme einer Information kann dazu führen, die Verbindungen zwischen den Nervenzellen auszubauen. Diesen Vorgang kann man sich ähnlich des Ausbaus einer Straße vorstellen: Je öfters diese befahren wird, desto breiter muss sie angelegt werden. Dieser Prozess stellt die Grundlage unseres Gedächtnisses dar. Die Kontakte der Hirnzellen werden also durch Reize, mit denen sie schon einmal konfrontiert wurden, verändert.
Merke: Über das Lernen nehmen wir Informationen in das Gedächtnis auf. Dieses hilft uns, Informationen kurz- oder langfristig zu speichern und wieder abzurufen. Informationen, die wiederholt angeboten werden, formen starke Gedächtnis-Kontakte aus.
Der Arbeitsspeicher: Kurz- und Langzeitgedächtnis
Mit der Herausforderung, die Komplexität des Gedächtnisses zu erforschen, beschäftigen sich eine Vielzahl an Wissenschaftlern. Eine für den Alltag plausible und greifbare Kategorisierung ist die Unterscheidung des Gedächtnisses in das Kurz- und das Langzeitgedächtnis.
1. Das Kurzzeitgedächtnis
Der Weg einer Information durch unser Gehirn beginnt unter der Regie des präfrontalen Cortexes, welcher verschiedene Hirnregionen koordiniert. Diese Gehirnregionen formen das Kurzzeitgedächtnis. Der präfrontale Cortexes hat im zusammenspiel mit dem Hippocampus die Aufgabe, unsere Aufmerksamkeit zu fokussieren und (relevante) Reize zu selektieren.
Der Hippocampus (welcher im Übrigen nach dem Seepferdchen benannt ist, da diese Hirnstruktur ebenso wie der Schwanz eines Seepferdchens eingekerbt und gekringelt ist) vernetzt Informationen mit unseren Sinnesorganen. Eindrücke, die der Mensch bei Erlebnissen, wie beispielsweise einem guten Essen in einem schönen Restaurant sammelt, werden vom Hippocampus in unserem autobiographischen Gedächtnis als Gesamtbild abgebildet. Ist der Gesamteindruck relevant, wird dieses Bild langfristig gespeichert.
Das Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis lässt sich grob als Struktur beschreiben, mit der Dinge im Fokus der Aufmerksamkeit wahrgenommen werden. Beispielsweise behalten wir hier eine Telefonnummer, die gewählt werden muss oder einen Plan, der in Kürze in die Tat umgesetzt werden will. Die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses ist jedoch recht begrenzt. Der Mensch kann dort weniger als 12 Elemente parallel ablegen. Werden diese Informationen nicht wiederholt, werden sie dort auch nur wenige Minuten gespeichert.
2. Das Langzeitgedächtnis
Sind Informationen relevant, werden sie vom Kurzzeitgedächtnis in das Langzeitgedächtnis überführt. Hier können Daten über Tage, Monate oder ein Leben lang gespeichert werden. Dieses permanente Gedächtnis ist weniger störanfällig als das Kurzzeitgedächtnis. Denn für eine Informationsaufnahme in das Langzeitgedächtnis werden neue Eiweiße als Verbindung zwischen den Nervenzellen ausgeprägt. Es findet eine strukturelle und nicht nur eine funktionelle Veränderung, wie beim Kurzzeitgedächtnis, statt.
Doch nicht jede Information wird (glücklicherweise) langfristig abgelegt. Das, was in das Langzeitgedächtnis übernommen wird, hängt von zwei Faktoren ab:
1. Bedeutsamkeit der Information (Relevanz)
2. Emotionaler Gehalt der Situation (Stimulanz)
Besonders ansprechende Informationen werden von der Amygdala markiert und mit dem Stempel „emotionale Erinnerung“ versehen. Zudem werden stark emotional bewegende Erlebnisse schneller vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis übernommen. Aus diesem Grunde bleiben den Menschen furchterregende oder als belastend empfundene Situationen verstärkt im Gedächtnis. Der niederländische Professor Douwe Draaisma fand hierzu heraus, dass 80% unserer ältesten Erinnerungen mit negativen Emotionen verknüpft sind.
Informationen nutzbar machen
Jetzt haben Sie viel theoretisches Wissen über das Gedächtnis erhalten und fragen sich möglicherweise, wie Sie diese Informationen im Bereich des Online-Marketings und der Conversion-Optimierung einsetzen können? Wie kann dieses Wissen dabei helfen, den Nutzer in seiner Entscheidung zu bestärken, wieder unsere Website zu besuchen?
Wie wir erfahren haben, benötigen wir neben relevanten und emotionalen Daten eine wiederholte Darbietung dieser Informationen, um sie vom Kurz- in den Langzeitspeicher zu übertragen. Diese Übertragung oder Konsolidierung benötigen wir, um Erinnerungen zu stabilisieren und diese bei erneuten Entscheidungen miteinzubeziehen.
1. Relevanz erzeugen
Fragen Sie sich, wie bedeutsam die angebotene Informationen für Ihre Nutzergruppe denn überhaupt sind. Hieraus ergibt sich eine weitere Frage: Wie gut kennen Sie die Bedürfnisse, Ängste und Wünsche Ihrer Nutzer? Welche Sprache sprechen Sie und der Nutzer? Was erwartet der Nutzer, wenn er Ihre Seite besucht? Welche Produkte oder Dienstleistungen möchte er sofort sehen, um sich angekommen zu fühlen? Innerhalb weniger Sekunden entscheidet unser Gehirn über den Mehrwert an Information, die eine Seite bietet. Fühlt sich der Nutzer dort nicht aufgehoben, springt er schnell wieder ab.
Mittels Personas können Sie ein erstes, umfassendes Bild Ihrer Nutzer erschaffen. Jedoch sollte hierbei beachtet werden, dass es nicht die „eine“ Persona geben kann. Denn Menschen sind unglaublich vielfältig und haben aufgrund verschiedenster Lebensgeschichten unterschiedliche innere Muster ausgebildet. Jedoch helfen Personas, sich in die Köpfe der Nutzer hineinzudenken und die eigene Perspektive zu wechseln.
2. Stimulanz schaffen
Es bedarf emotionaler Eindrücke, um Informationen langfristig abrufbar zu machen. Auch hier gilt es wiederum zu hinterfragen, welche emotionale Ansprache oder Eindrücke der Nutzer sich wünscht. Auf der einen Seite können hierbei systemische Fragetechniken helfen, sich in die Nutzerperspektive hineinzudenken. Auf der anderen Seite können Praktiken wie das Story-Telling oder der Einsatz kognitiver Heuristiken dabei unterstützen, die Website zu emotionalisieren.
3. Wiederholen Sie sich
Kandel beschreibt, dass eine wiederholte Darbietung an relevanter Informationen die synaptischen Kontakte zwischen den Nervenzellen des Gehirns stärkt. Hier wirkt unter anderem der Mere-Exposure-Effekt: Wird ein Reiz wiederholt angeboten, kann mit diesem Reiz eine positivere Einstellung verknüpft werden. Vorausgesetzt, dieser Reiz wird als relevant und stimulant wahrgenommen. Bieten Sie, passend der Bedürfnisse der Nutzergruppe, verschiedenen Elementen eine Bühne: Trusted-Elemente, UVP’s, Kontaktinformationen, stimulante Bilder, nutzerspezifische Begriffe usw. Es gilt herauszuarbeiten, welche Elemente von dem jeweiligen Nutzer als sinnvoll erachtet werden.
4. Nutzer-Website-Dialog suchen
Wie bereits angesprochen, steht und fällt der Erfolg einer Website mit einem sinnvollen Nutzer-Website-Dialog. Wie kann man sich diesem jedoch nähern? Dreh- und Angelpunkt stellt hierbei immer der Nutzer dar. Welche Sprache spricht dieser? Und welche Sprache spricht meine website? Harmonieren diese beiden Medien? Mittels systemischer Fragetechniken lässt sich die eigene Perspektive wechseln und die Nutzerbrille aufsetzen. Probieren Sie doch einmal folgende Fragetypen beim nächsten internen Brainstorming aus:
a) Zirkuläre Fragen
» Was denken Sie, wie sich Ihr Kunde auf der Webseite fühlt?
» Wie würde der Kunde reagieren, wenn Sie die Seitenstruktur verändern?
» Was würde Ihr Kunde sagen, wenn Sie ihm diese Veränderung vorschlagen?
b) Wunderfragen
» Angenommen, es käme eine gute Fee zu Besuch und würde Ihnen drei Wünsche erfüllen. Was würden Sie sich wünschen?
» Woran merken Sie, dass die Wünsche in Erfüllung gegangen sind?
» Wenn Sie als Website-Betreiber in die Köpfe Ihrer Kunden schauen könnten, was würde Sie am meisten interessieren?
» Was überraschen?
» Wie würde sich das Verhältnis zu Ihren Kunden verändern?
c) Lösungsorientierte Fragen
» Was muss passieren, damit Sie öfters positives Feedback von Ihren Kunden erhalten?
» Welche Ihrer Fähigkeiten in der Kundenkommunikation sind besonders wertvoll?
» Was hat bisher gut funktioniert? Wovon könnten Sie mehr machen?
» Wen könnten Sie noch zu Rate ziehen, um mehr Perspektiven zu gewinnen?
In diesem Sinne: Viel Erfolg beim Ausprobieren und denken Sie daran: Gerade wenn man glaubt etwas ganz sicher zu wissen, muß man sich um eine andere Perspektive bemühen.